Land der Mikrobrauereien: Wie das Bier in Frankreich seinen Platz findet
Der weltweite Trend zu kleinen Bierbrauereien, den sogenannten Microbrasseries, macht auch vor Frankreich nicht halt. Das Land, welches traditionell eher für seinen Wein bekannt ist, wendet sich immer mehr dem Bier zu. Das zeigt sich nicht in der Menge des Bierkonsums, der weltweit seit Jahren rückläufig ist, aber in Art der Herstellung und der Entwicklung neuer Bierstile und neuer Konzepte im Ausschank. Damit folgt Frankreich sicherlich der weltweiten Mode des Craft Beers, doch die Möglichkeiten unterscheiden sich von traditonellen Bierländern wie Deutschland.
2. Die Eroberung des Apéritif
3. Die Biervielfalt
4. Vier Grundzutaten, viele Bierstile
5. Was macht man in Frankreich anders?
6. Fazit
Laut Wikipedia sind Mikrobrauereien oder Microbrasseries die Kategorie bis 1.000 Hektoliter (100.000 Liter) pro Jahr. Im Rahmen des Trends zum Craft Beer oder Bière artisanale hat sich die Grenze im Laufe der Jahre nach unten verschoben. Zum Vergleich: industrielle Bierproduzenten stellen mehr als 100.000 Hektoliter jährlich her. Laut der Vereinigung Brewers of Europe gibt es in Frankreich derzeit ca. 2.500 Brauereien (Stand: August 2024), das entspricht einer Verdreifachung seit 2014. In Deutschland gibt es dagegen lediglich ca. 1.507 Brauereien und dabei fällt ins Auge, dass die Produktionsmenge in Deutschland viermal so hoch ist. Deutschland verfügt also über eine deutlich größere Durchschnittsproduktion pro Brauerei, während Frankreich prozentual deutlich mehr Microbrasserien aufweist. Die Gründe hierfür sind vielfältig, dabei sind zwei hervorzuheben.
Abgrenzung zum Amateur
Die Freigrenze für die private Herstellung von Bier liegt in Deutschland bei 200 Litern pro Jahr, die Produktion muss dem zuständigen Hauptzollamt mitgeteilt werden. Überschreitet man diese Grenze, wird Biersteuer fällig. In Frankreich gab es ebenfalls strenge Regeln, welche jedoch mit dem Finanzgesetz 2021 für private Herstellung und Konsum ohne Verkauf stark gelockert wurden.
Reinheitsgebot
Während in Deutschland ein Bier per Definition aus ausschließlich den Zutaten Hopfen, (Gersten-)Malz, Hefe und Wasser hergestellt werden darf und sonst andere Begriffe für das Getränk gelten wie Biermischgetränk, ist in Frankreich zwar auch die Basis der Grundzutaten beschrieben, hinzu kommt aber, dass pflanzliche Zutaten und Honig, als tierische Ausnahme, ebenfalls zulässig sind. Sobald man die Kommerzialisierung in Form einer Mikrobrauerei anstregt, hat dies weniger Auswirkungen in Frankreich, was die Vielfalt an französischen Bières artisanales befördert. Zuletzt bildet das Reinheitsgebot auch eine Restriktion in den Köpfen der Leute selbst, welche bei den Franzosen nicht besteht.
Im Gegensatz zur Allgegenwärtigkeit des Bieres in deutschen Gewohnheiten (z.B. Frühschoppen am Sonntag, Weißwurstfrühstück, Biergärten, abendfüllendes Reden beim Bier), war das Bier lange Zeit in weiten Teilen Frankreichs nicht derart präsent, außer vielleicht bei der Tabakbar um die Ecke sowie in den an Belgien und Deutschland grenzenden Teilen des Landes. Mit dem Aufkommen des Craft Beers in den USA ab den 1970ern und verstärkt ab den 1990er Jahren, hat der Trend langsam seinen Weg nach Europa gefunden. Dabei spielt auch die Form des Ausschanks in so genannten Tap Rooms, wo man eine Kleinigkeit zum Bier essen kann, aber das Bier im Mittelpunkt steht, das passt hervorragend zum französischen Apéritif.
Die Rolle der Microbrasserie
Seit Mitte der 90er gab es beispielsweise eine Brauerei mit später mehreren Burger Bars in Lyon namens Ninkasi. Was durch die heute weit verbreiteten Konzepte der Mikrobrauereien in Sachen Ausschank und Vertrieb betrifft, zeichnete sich damals schon ab. Die Microbrasserie, die sich einen eigenen Showroom leisten kann, bietet zu den gewohnten Zeiten des Apéro (ab 18 Uhr aufwärts) Kostproben ihrer lokal gebrauten Biere und oft auch vor Ort produzierte Snacks an, bevor der Gast in ein Restaurant oder nach Hause weiterzieht. Andere wiederum verkaufen exklusiv in Bars und Pubs am Ort, die oftmals Burger anbieten, welche gerne mit regionalem Käse, mit Stolz auf die dortigen, traditionellen Produkte, verfeinert werden. Die vielfältigen Biere gibt es auch zum Mitnehmen, so dass man bei einem abendfüllenden Apéro dinatoire, die unterschiedlichsten Biere verkosten kann und alle Freunde selbstgemachte Häppchen mitbringen. Das Konzept der Microbrasserie hat sich so als sehr kompatibel mit den französischen Gewohnheiten erwiesen.
Das Bier zum Apéro
Warum also fällt die Wahl auf das Bier und nicht die sonst typischen Apéritifs? Zum Einen sind die meisten Biere natürlich leichter im Alkoholgehalt, aber auch nahrhafter. Der wesentliche Unterschied zu früher ist die Vielfalt an Bieren, die Mikrobrasserien bieten. Vor zehn Jahren noch standen in den Supermarktregalen die großen Packs der namhaften Industriebrauereien, welche wiederum zu wenigen Weltkonzernen gehören. Da mittlerweile mehrere Kleinstbrauereien beinahe in der Nähe eines Jeden zu finden sind, hat man eine entsprechende Abwechslung, welche gleichzeitg den Trend zu Kooperativen und lokalem Konsum bedient. Die vielfältigen Geschmacksrichtungen tun ihr Übriges, denn der Biersommelier findet das spritzige Bier zum Fisch oder das kräftige Schwarzbier zum roten Fleisch, wodurch das Bier immer mehr zum Begleitgetränk wird. Der Weg über den Apéro hinaus ist also ebenfalls geebnet.
Egal ob in der Épicerie, am Kiosk, im Supermarkt oder in den Caves (Geschäfte für alkoholische Getränke), überall wimmelt es mittlerweile an Regalen und Kühlschränken mit einer großen Biervielfalt. Auch hier spielen die Microbrasserien mittlerweile eine zunehmende Rolle.
Der Vertrieb von Kleinstbrauereien
Wer in der Größenordnung unter 1.000 Hektolitern produziert und neu auf dem Markt ist, muss vor allem lokale Bündnisse schließen, die über den eigenen Verkauf hinaus gehen. Der Brauer selbst verkauft neben seinem eigenen Verkaufsraum auch gerne über den eigenen Marktstand auf den lokalen Märkten, welche bereits bei kleineren Ortsgrößen deutlich umfangreicher sind, als man sie aus deutschen Großstädten kennt. Doch auch das reicht oft nicht für ein geregeltes Einkommen. Wenn man in den Geschäften in Frankreich genau hinschaut, findet man häufig eine eigens eingerichtete Ecke mit lokal produzierten Bieren kleinerer und mittelgroßer Brauereien aus der Region. Wer in Fässer abfüllt, kann wiederum die lokale Gastronomie nutzen, um weitere Vertriebswege zu eröffnen. Mikrobrauereien müssen also erfinderisch sein, um sich den Traum von der Selbständigkeit durch das Brauen allein zu verwirklichen.
Bierfeste (Fêtes de la bière)
Ein weiteres Phänomen sind die immer häufiger auftretenden Fêtes de la bière. Während die lokalen Brauereien ihre Stände alle am selben Ort aufstellen, sei es in den Gemeindehallen (Salles des fêtes oder Salles de l'amitié) oder draußen unter freiem Himmel, sorgt die zentrale Organisation dafür, dass Livemusik, Grillstände und Spielmöglichkeiten bereitgestellt werden. Die Konzepte reichen von einem zentralen Eintritt mit Verzehrkarte, Bons, bis hin zur direkten Bezahlung am Stand, wobei die meisten mittlerweile auch Kartenzahlung akzeptieren. So bietet sich eine wunderbare Gelegenheit sich zu präsentieren und ganze Familien anzuziehen, die den Tag vor Ort verweilen können. Die Biervielfalt der Region lässt sich hier am stärksten aus erster Hand erleben.
Wie schaffen es selbst die kleinsten Microbrasserien, aus lediglich vier Grundzutaten wie Hopfen, (Gersten-)Malz, Hefe und Wasser eine Vielzahl verschiedener Biere zu entwickeln, von denen jedes einzelne anders ist als die anderen? Und was unterscheidet das Bierbrauen von der Herstellung anderer alkoholhaltiger Getränke durch Gärung wie Wein oder Cidre?
Vom Rezept zum Bier
Ein Bier basiert nicht nur auf den natürlichen Rohstoffen, aus denen es besteht, sondern aus einem ausgeklügelten Rezept und der peniblen Einhaltung gewisser Abläufe. Das Brauen ähnelt in gewisserweise im ersten Schritt dem Kochen in der heimischen Küche. Nicht umsonst haben viele Mikrobrauereien mit dem Kochtopf in der Küche angefangen. Doch bevor man kocht, muss man aus den Getriedemalzen die Zucker herausziehen, welche im Malz noch als Stärke vorhanden sind. Malz kann man als leicht angekeimtes Getreide verstehen, bei dem der Keimvorgang zu Beginn gestoppt wurde. Das getrocknete Malz enthält dadurch noch die pflanzlichen Enzyme, welche Stärke in verschiedene Zucker umwandeln können, wenn man einen Brei aus Wasser und dem angeschroteten Malz bei einer bestimmten Temperatur hält. Verschiedene Getreidearten und auch spätere Röstungen, geben den Bieren dabei bereits unterschiedlichen Körper und Farbe. Schließlich erhöht man die Temperatur, beendet den Vorgang des sogennanten Maischens und geht zum Kochen über.
Wenn man in Feuchtgebieten und an Flüssen im Spätsommer die Augen aufmacht, fallen einem vielleicht die ein oder anderen Hopfendolden am Wegesrand auf. Dies ist die wichtigste Zutat beim Kochen, denn es gibt dem Bier seine Würze und durch die mittlerweile über 70 von 200 gehandelten Hopfensorten mit Aromen von erdig, krautig bis blumig, zitronig, erhalten Biere speziell hierdurch ihren eigenen Charakter und ihre Bitterkeit. Für die Bittere wird der Hopfen zu Beginn des Kochens hinzugefügt, für die Aromen eher am Ende. Außerdem werden dabei unangenehme Nebenprodukte aus der sogenannten Würze gekocht, die Geruch und Geschmack negativ beeinflussen können.
Die Gärung
Nach Abkühlung wird die auf die "Wunschtemperatur" der jeweiligen Hefe gebrachte Würze in einen Fermenter, bei Microbrasserien zumeist mittelgroße Stahlzylinder, die unten spitz zusammenlaufen. Dort beginnt der Prozess der Alkoholgärung, bei dem die hinugefügte Hefe die verstoffwechselbaren Zucker in Alkohol und Kohlendioxid umwandelt. Letzteres in Wasser gelöst ergibt Kohlensäure. Wobei es neben der natürlichen Kohlensäure durch Nachgärung im geschlossenen Behälter und Lösung durch Abkühlung auch das Hinzufügen von Kohlenstoffdioxid im Nachhinein gibt, wie man es vom heimischen Wassersprudler kennt, was bei industriellen Brauereien praktiziert wird.
Welche weiteren Unterschiede in der Entwicklung im Vergleich mit Mikrobrauereien in Deutschland gibt es? In Frankreich stehen nicht nur andere Ess- und Trinkgewohnheiten im Vordergrund, die Feinschmecker bevorzugen Qualität über Quantität und sind bereit, dafür auch tiefer in die Tasche zu greifen. Doch es gibt auch Unterschiede technischer Natur, die den Trend hin zu handwerklich bebrautem Bier mehr an die Entwicklungen in den USA erinnern lassen.
Abfüllung und Formate
Während die großen Getränkehersteller vor allem an den Formaten 25cl und 75cl festgehalten haben, gibt es von Microbrasserien öfters die 33cl, die 60cl oder ganz andere Formate wie eine 2L Flasche mit Pfand. Hippe Brauereien füllen wieder vornehmlich in Dosen von 44cl oder 50cl ab, während das kleinere Format eigentlich typisch für den angelsächsischen Raum war. Allein schon wegen des Dosenpfands wären diese in Deutschland, bei den ohnhin schon großen Preisunterschieden zum klassischen Kasten Pils, nicht die erste Wahl. Doch der Preis findet auch in der kleinen Auflage, der Handarbeit und vor allem dem hohen Einsatz von teuren Spezialhopfen und speziellen Hefen seine Berechtigung.
Brauereiausschank
Die Formen des Brauereiausschanks sind in Deutschland und Frankreich auf unterschiedlichen Traditionen aufgebaut. Während in Deutschland jede größere Stadt ihre Traditionshäuser hat, Städte mit einer speziellen Bierkultur wie München oder Köln sogar diverse Anbieter und Marken sowie Standorte, gibt es etwas vergleichbares eigentlich nur ansatzweise in den zuvor genannten Grenzregionen zu Belgien und Deutschland. Die Brasserie als Restaurant ist der Ort, wo per Definition früher einmal das Bier ausgeschenkt wurde, mittlerweile aber eher die weniger formelle Art gemeint ist, als in gehobenen Restaurants. Mit den Microbrasseries erhält somit das Bistro oder Brasserie eine neue oder alte Bedeutung wieder zurück, wenn dort lokales Bier ausgeschenkt wird.
Mit ca. 2.500 offiziellen Brauereien und 99% Micobrasseries ist Frankreich rein von der absoluten Zahl an den großen Bierländern vorbei auf Platz eins in Europa gerauscht. Mengenmäßig trinken die Leute dafür nicht deutlich mehr Bier und die Produktionsmenge ist bei weitem nicht so groß wie in den großen Biernationen, aber die Vielfalt und Verfügbarkeit steigen. Und die kleinen Brauereien finden Mittel und Wege, wie man das Bier in die französischen Gewohnheiten integrieren kann.
Gemeinsam mit anderen Trends
Eine der nennenswertesten Veränderungen ist hier die Übernahme der bereits aus den USA stammenden Konzepte wie Tap Rooms oder Bierpubs mit Live-Musik und Burgern. Die Burgerbuden und Food Trucks, die überall entstehen, schreiben sich aber den Stolz auf die einheimischen Erzeugnisse auf die Fahne und so entstehen auch dank der Mikrobrauereien in Frankreich neue Konzepte, um einen unterhaltsamen und genussvollen Abend mit Freunden oder Familie zu verbringen und dabei auf die kulinarischen Alleinstellungsmerkmale, die französische Lebensart und Küche so berühmt gemacht haben, nicht verzichten zu müssen. Santé!
Sven